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Niels Lund Chrestensen



Sie leben fort in einer Rose

Von Thomas Marschall



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Seit 1968 trägt eine von Anni Berger in Bad Langensalza gezüchtete Polyantha-Hybride den Namen N. L. Chrestensen. Mit ihr sollte ein Gärtner geehrt werden, der eng mit der Stadt Erfurt verbunden war. Erfurt - Blumenstadt. Seit vielen Jahrzehnten sind diese beiden Wörter eine Einheit. Viele Gärtner haben an dem Ruf ihrer Stadt mitgearbeitet, stellvertretend für sie soll die Lebensgeschichte von Niels Lund Chrestensen beleuchtet werden.


Die Firma N. L. Chrestensen existiert in verschiedenen Formen seit 1867. Die Firmengeschichte, die durch verschiedene Gesellschaftsformen geprägt wurde, gehört zu den markantesten in Erfurt und setzt sich noch heute erfolgreich fort.
Die Christensens - das „i" der ersten Silbe wurde erst später von einem deutschen Beamten gegen das „e" ausgetauscht - lebten, solange sie zurückdenken konnten, als kleine Bauern in der ländlichen Abgeschiedenheit des Inselreiches Dänemark. Zu Reichtum brachten sie es nie, nicht einmal zu einer bescheidenen Wohlhabenheit. Einer ihres Geschlechtes, Niels Christensen, war an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Gemeindevorsteher in Orting und betätigte sich zugleich - einen Arzt gab es weit und breit nicht - als Heilkundiger.
Niels Christensens Sohn, Christian Nielsen - Vor- und Zunamen wechselten damals bei der Vererbung - war gezwungen, sich als Knecht zu verdingen. Nach seiner Entlassung aus dem Militär arbeitete er als Bierbrauer in Kopenhagen. Bauer wurde er erst wieder, als er in einen Hof einheiratete.
Sein Zuhause war nun das Westerskowhus in Randlew in der Nähe der Stadt Odder. In ihm wohnte die siebenköpfige Familie, die Eltern und fünf Kinder.
Als erster verließ Niels Lund, der älteste Sohn, das Westerskowhus. Zuerst, um drei Jahre in einer Kunst- und Handelsgärtnerei in der Hafenstadt Aarhus zu lernen, dann, um nach Deutschland auszuwandern, nach Erfurt. Das geschah 1862.
Die Dänen verübelten ihm nicht, dass er seinem Vaterland den Rücken kehrte. Jahrzehnte danach verliehen sie ihm für seine gärtnerischen Leistungen den Titel „Ritter von Danebrog" (Ritter der dänischen Flagge).

Auszeichnungen hatte N. L. Christensen vorerst nicht zu erhoffen. Erfurt war damals schon ein Zentrum des Gartenbaus, doch ein Schlaraffenland war es nicht; am wenigsten für einen zugereisten Ausländer, der die deutsche Sprache und den für ihn besonders komplizierten Thüringer Dialekt nicht beherrschte.

Schneller Aufstieg in Erfurt

Die Fähigkeiten, die er sich in Aarhus angeeignet hatte, wandte N. L. Christensen als Gehilfe in Erfurter Handelsgärtnereien an, bei Schirlitz, bei Moschkowitz und Söhne, bei den Gebrüdern Born. Die Firma Born verfügte über ein Areal von 80 Morgen, sie erzeugte und vertrieb Blumen- und Gemüsesamen und beschäftigte sich mit der Kultur von Sträuchern, Stauden und Modeblumen wie Fuchsien und Petunien. Christensen erfüllte seine Aufgaben gut. Überdurchschnittlich schnell stieg er auf der beruflichen Leiter empor und wurde Obergärtner. Dennoch vernachlässigte er seine privaten Interessen nicht: die Blumenbinderei und die künstlerische Gestaltung. Seinen ersten großen Erfolg auf diesem Gebiet errang er auf der „Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Land- und Gartenbaues", die im September 1865 in Erfurt veranstaltet wurde und einen internationalen Charakter hatte.

Der Ausstellungskatalog kündigte an:

„N. L. Christensen, Gehilfe bei Gebr. Born in Ilversgehofen: Rococo-Anlage in altfranzösischem Stil aus Moos, Muscheln und Immortellen sowie versch. anderes." Eigene Arbeiten auf einer repräsentativen Schau - das bedeutete viel für einen Gehilfen.

Seine Beteiligung an der Ausstellung spornte Christensen an und nährte den Wunsch, sich selbstständig zu machen. Aber das war nicht so einfach. Zunächst musste er, der Däne, die preußische Staatsangehörigkeit besitzen und eingebürgert werden - ein Vorgang, bei dem er, ob er wollte oder nicht, mit der Maschinerie der Verwaltungsbürokratie Bekanntschaft machte.
Als er seine Papiere in Empfang nahm, stellte er fest, dass aus Christensen Chrestensen geworden war, ein Name, der seines Wissens kein zweites Mal existierte; in Dänemark auf keinen Fall, aber wohl auch nicht in anderen Ländern. Einspruch zu erheben wäre sinnlos gewesen. Die Mühlen der Behörden mahlten langsam, aber wenn sie mahlten, dann endgültig.
Nun war der Fremde vom Westerskowhus kein Zugereister mehr, sondern ein gleichberechtigter Bürger. Sein Empfinden, in dieser Stadt ein Gast zu sein oder ein Außenseiter, verschwand vollends, als er 1870 eine Erfurterin heiratete, die Brauknechtstochter Auguste Kujawa.
Äußerlich betrachtet, war Chrestensen für Auguste das, was man eine gute Partie nannte: ein selbstständiger Blumenbinder, ein Geschäftsmann. Aber Schein und Sein stimmten nicht ganz überein. Zwar hatte Chrestensen 1867, kurz nach seinem 27. Geburtstag, ein Geschäft gegründet, doch der Geschäftsbetrieb lief unter primitiven Bedingungen ab.
In der Marktstraße, mitten in der Altstadt, im Haus „Zur Weintraube", hatte Chrestensen ein Zimmer gemietet, das Arbeitsraum, Büro, Küche, Wohnstube und Schlafkammer in einem war. Den meisten Platz beanspruchte sein Rohmaterial, Trockenblumen, aus denen er mit geschickten Händen und viel Sinn für den Modegeschmack kunstvolle Gebilde band und flocht.

Neue Pflanzen und Ideen aus England

Die drangvolle Enge wich auch nicht, als er in das Haus „Zum Riesenstiefel", gleichfalls in der Marktstraße, umzog. 1873 hatte Chrestensen das Geld zusammen, das er für den Kauf eines eigenen Grundstückes benötigte. Er erwarb das über vierhundert Jahre alte, ehrwürdige Haus „Zum güldenen Schwanenring" in der Marktstraße, das im Erdgeschoss mit zwei Läden ausgestattet war und sich gut für seine Zwecke eignete.
1874 reiste Chrestensen nach England, um Kontakte zur Firma Corry & Co. zu vertiefen. Dieses war die erste von vielen Englandreisen, die Erfahrungen, die er von dort mitbrachte, befruchteten die Arbeit seiner Firma. Das erste in Erfurt benutzte Telefon hatte sich Chrestensen aus England mitgebracht. Er überbrückte damit die Entfernung vom Firmensitz zu den sich am Stadtrand befindlichen Produktionsflächen.
Neue Tendenzen im Gartenbau griff er auf und baute sie aus. Berühmt wurde er durch seine Maiglöckchen und durch die Anzucht von Maiglöckchenkeimen. Diese Keime wurden bis nach Amerika exportiert.

Doch das Wertvollste, was Chrestensen aus England mitbrachte, waren neue Pflanzen. Ein Beispiel dafür ist der rotblättrige Rhabarber.
Für Chrestensen waren die Jahre seiner beruflichen Erfolge nicht immer glückliche Jahre. Seine Frau Auguste, die sich in der Zeit des schweren Anfangs als seine fleißigste Helferin bewährt hatte, erkrankte so schwer, dass sie bis zu ihrem Tode 1892 an den Rollstuhl gefesselt war. Den Bau der neuen Speicher- und Lagerräume in der Marktstraße erlebte sie noch, den Umzug der Gärtnerei ins Borntal, eine fruchtbare Niederung nahe der Schwedenschanze im Westen der Stadt, nicht mehr.
Dieser „Ökonomiehof“, dem eine Versuchsstation angeschlossen war, wurde zur Wiege vieler neuer Blumen- und Gemüsesorten. Chrestensens Energie erlahmte nicht. Aus aller Welt holte er neue Gewächse nach Erfurt - aus Amerika Speisezwiebeln, aus dem bulgarischen Rhodopengebirge eine seltene Blatt- und Blütenpflanze namens Verbascum pannosum. Seine Erfahrungen veröffentlichte er in Fachbüchern, so in „Chrestensens illustriertem Handbuch für Feld- und Gartenbau aus der Praxis für die Praxis".

Als Niels Lund Chrestensen am 21. Januar 1914 starb, hatte seine Handelsgärtnerei den Gipfelpunkt erreicht. Der wenig später ausbrechende l. Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, Inflation und 2. Weltkrieg setzten der Firma stark zu, sie schaffte es aber immer, zu überleben.

Quelle:

"Rosenbogen - Mitteilungen der Gesellschaft Deutscher Rosenfreunde"

4/2001 - Feuilleton




Gesellschaft Deutscher Rosenfreunde e. V.