rosen
 
   
O tote Rose!


31/2003 "DIE ZEIT"

Schon neigt sich die Rosenblüte wieder ihrem Ende entgegen. Zum Abschied eine Ode an ein magisches Gewächs

Von Susanne Wiborg


Es geht so furchtbar schnell: Jetzt lässt schon Veilchenblau, die Kletterrose mit dem intensiven Orangenduft, ihre grauvioletten Blütenblätter fallen. Die Rosenzeit ist fast zu Ende. Sicher, einige blühen nach, aber das ist im Moment ein schwacher Trost. Warum bloß macht dieser Abschied immer derart melancholisch, obwohl doch der Hochsommer noch bevorsteht? Was ist nur dran an den Rosen? Warum lieben wir, warum liebe ich sie so sehr, besonders die alten? Diese Frage habe ich früher mit weitschweifigen und doch stets ungenügenden Hinweisen auf Duft, Schönheit und Kulturgeschichte von Jahrhunderten zu beantworten versucht, doch meist vergeblich. Wer nämlich angesichts von so viel Charme überhaupt noch analysieren muss, der wird es ohnehin kaum verstehen.

Heute, Harry Potter sei Dank, ist alles viel einfacher. Da reicht es, allzu lästige Frager mit einem bedeutungsschwer hingeworfenen »Magie!« ruhig zu stellen. Das kann inzwischen eine ähnlich apodiktische Wirkung haben wie der raunende Hinweis auf das Sternzeichen (»Du, ich muss das einfach so machen, ich bin Zwilling, verstehst du?«). Eine unfehlbare Ablenkung ist es allemal, weil die Adressaten entweder prompt und umflorten Auges von ihren Gartenelfen daheim zu schwärmen beginnen oder aber schwer schlucken, mich fortan für allzu exzentrisch halten, um irgendwelche vernünftigen Fragen zu diskutieren, und schleunigst das Revier verlassen, bevor ich noch eine Konversation mit den Wegwarten beginnen kann…

Banausen, die selbst Auge in Auge mit einer schimmernden, samtrotbraunen Tuscany-Blüte den Unterschied zwischen vierhundert Jahren Gartengeschichte und steriler, duftloser Treibhaus-Massenware immer noch nicht kapieren, sind ohnehin hoffnungslos. Wenn sie ihre Ignoranz womöglich auch noch mit den Worten »Warum ist die denn so klein? Bei uns im Supermarkt gibt’s aber viel größere!« kundzutun wagen, sollten sie mit Gartenverbot nicht unter zehn Jahren bestraft werden!

Vielleicht ist es aber nicht nur Magie, die mich jedes Jahr, wenn mit der alten Kletterrose Gloire de Dijon die Rosensaison beginnt, in einen regelrechten Ausnahmezustand versetzt. Vielleicht ist es ebenso das Gefühl, eine aussichtslos scheinende Herausforderung wieder einmal gemeistert zu haben. Sie blühen doch, aller vorangegangenen Unbill zum Trotz! Rosen sind dramaturgisch ungemein geschickt: In genau dem Moment, in dem man schlimmstenfalls drauf und dran ist, die dauerkränkelnden Sträucher aus dem Beet zu werfen, überstrahlen sie allen Ärger mit ihrer unvergleichlichen Blüte. Und, natürlich: Sie können ja nichts für diese speziellen norddeutschen Sommer, die Heinrich Heine so treffend als »grün angestrichene Winter« charakterisiert hat. In solchen ekelhaft nassen und kalten Jahren hüllen sich meine bedauernswerten Rosen schon im Mai dicht an dicht in die melancholisch schwarzen Tupfen des Sternrußtaus, einer Pilzkrankheit der Blätter, dann schlägt der Rosenrost zu, dann rieselt das gelbe Laub, und irgendwann ist alles zu spät. Fungizide zu spritzen, kann man schlicht vergessen: Wenn es am nötigsten wäre, geht es, der wochenlangen Dauernässe wegen, sowieso nicht. In freundlichen Jahren dagegen gedeihen die Rosen auch ungespritzt, Beten um gutes Wetter ist also weitaus sinnvoller. So weiß ich von vielen, normalerweise völlig unfrommen Mitgärtnern, dass sie, genau wie ich, das halbe Frühjahr damit verbringen, dem launischen Wettergott bei jeden heraufziehenden Islandtief verzweifelt einen Handel nach dem anderen vorzuschlagen: Nimm alles – nur bitte, bitte, nimm nicht die Rosenblüte!

Dieses Jahr, endlich, wurde unser kollektives Flehen wieder einmal erhört: kein wochenlanger Dauerregen, keine Eiseskälte, kein Zwölfer-Orkan Mitte Juni – das Rosenfrühjahr war nahezu perfekt. So werde ich in kommenden nassen Jahren wieder wissen, wofür sich schließlich alles Leiden lohnt. Um so deprimierender, dass sich die so lang erwarteten Prachtstücke jetzt schon wieder verabschieden und mit ihnen die allerschönste Gartenzeit. Bis zur Nachblüte gibt es zumindest einen Trost: diese ganz und gar unwiderstehlichen Kataloge! Selbst in meinen kleinen Garten sollte doch irgendwo, irgendwie noch eine schöne Rose mehr hineinpassen. Notfalls mit Magie!

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