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Antike griechische Mythen und Sagen


aus "Knossos - Ein Führer durch den Palast des Minos"
von Anna Michailidou


Kreta war der Schauplatz für die Taten der Heroen vieler griechischer Mythen, und die meisten spielten in Knossos, in ihrem kunstvollen und reichen Palast, wo eine Gestalt hervorragt und herrscht, der König Minos.
"Knossos heißt eine mächtige Stadt, da Minos vorzeiten, der Vertraute des Zeus, neun Jahre lang König gewesen."
(Od. XIX 178-9, Übers. Schröder)


So singt Homer in der Odyssee und der Athener Historiker Thukydides berichtet über Minos, er sei der erste gewesen, der eine starke Flotte besaß und einen großen Teil des griechischen Meeres beherrschte; er vertrieb die Karer von den Kykladen, setzte dort seine Söhne als Regenten ein und hielt die Seeräuberei in der Ägäis nieder.
Minos war göttlicher Abstammung, ein Sohn des Königs der Götter Zeus. In Phönizien begegnete Zeus der Europa, der Tochter des Königs Agenor (oder Phoinix), als sie mit ihren Gespielinnen am Gestade Blumen pflückte. Er verliebte sich in sie und verwandelte sich in einen schönen, verspielten Stier. Die Prinzessin ließ sich täuschen und setzte sich auf seinen Rücken. Sogleich stürmte der Stier ins Meer und brachte sie nach Kreta.

Europa und der Stier




Dort vereinte sich Zeus mit Europa in Gortyn, und sie gebar drei Söhne, Minos, Rhadamanthys und Sarpedon. Später heiratete Europa Asterios, den König von Kreta.

die besonderen Platanen von Kreta

Nach dessen Tod regierte ihr Sohn, Minos, in Kreta nach den Gesetzen, die ihm sein Vater Zeus alle neun Jahre gab.
Minos nahm Pasiphae, die Tochter des Sonnengottes Helios und der Nymphe Kreta, zur Frau und hatte mit ihr vier Söhne und vier Töchter.

Helios der Sonnengott

Minos lebte in seinem Palast von Knossos, in dem jedoch dramatische Ereignisse stattfanden. Als er einmal dem Poseidon opfern wollte, bat er den Gott, ihm das Opfertier zu schicken. Poseidon schickte ihm aus dem Meer einen schönen, weißen Stier.

Minos aber zog es vor, ihn zu behalten und an seiner Stelle einen anderen zu opfern. Daraufhin zürnte der Gott und sann auf Rache. Er flößte der Königin eine heftige Leidenschaft zu dem Stier ein. Zu jener Zeit lebte an dem Hof des Minos ein hervorragender Künstler, Daidalos. Daidalos schuf eine Nachbildung einer Kuh und versteckte in ihr die Königin, die nun ihre Liebe zu dem Stier befriedigte. Aus ihrer Verbindung entsprang ein Untier mit menschlichem Körper und dem Kopf eines Stieres, der Minotauros. Er lebte in dem Labyrinth, dem verwirrenden Gebäude, das Daidalos für ihn gebaut hatte.
Der Mythos führt fort mit der Reise des Androgeos, eines Sohnes des Minos, nach Athen. Androgeos nahm dort an den Wettkämpfen teil und gewann alle Preise und erweckte den Neid der Athener mit dem Ergebnis, daß man ihn tötete. Minos schickte ein Heer gegen Athen, eroberte die benachbarte und verbündete Stadt Megara und zwang den König von Athen, Aigeus, als Strafe jedes Jahr (oder alle neun Jahre) sieben Jünglinge und sieben Mädchen als Nahrung für den Minotauros im Labyrinth zu schicken.
Im folgenden erscheint im Mythos eine zweite bedeutende Gestalt, Theseus, Sohn des Königs von Athen Aigeus (oder des Poseidon). Theseus nahm freiwillig an dem dritten traurigen Zug zusammen mit den anderen Jünglingen aus Athen teil, mit der Absicht den Minotauros zu töten

Theseus




und sein Vaterland von diesem schweren Tribut an Kreta zu befreien. Sobald er in Knossos ankam, gewann er die Liebe der Ariadne, der Tochter des Minos, die Daidalos um Hilfe bat, ihren Geliebten zu retten.
Daidalos zeigte ihr den Ausgang des Labyrinths, und Ariadne gab Theseus den berühmten "Faden der Ariadne", dessen eines Ende er am Ausgang festband. So konnte Theseus den Minotauros töten

der Tod des Minotauros

und dem Faden folgend aus dem verwinkelten Labyrinth herausfinden. Dann nahm er Ariadne und die anderen athenischen Gefangenem mit sich und bestieg das Schiff für die Rückfahrt.

Ariadne und Theseus

Unterwegs kamen sie an Naxos vorbei, wo sie Ariadne am Strand schlafend zurückließen und ohne sie weiter nach Athen fuhren.
Ariadne aber liebte der Gott des Weins, Dionysos. Er heiratete sie und zeugte mit ihr drei Söhne, Staphylos, Thoas und Oinopion. In Knossos aber entlud sich der Zorn des Minos über Daidalos. Um zu entfliehen, stellte dieser für sich und seinen Sohn Flügel her. Sie flogen weit fort.

Daidalos und Ikaros




Ikaros aber hörte nicht auf die Beschwörungen seines Vaters, nicht zu hoch zu fliegen. Die Sonne ließ das Wachs, das seine Flügel zusammenhielt, schmelzen. Der Jüngling stürzte hinab und ertrank in dem Meer, das heute seinen Namen trägt (Ikarisches Meer). Auf Sizilien finden wir Daidalos schließlich wieder in der Stadt Kamikos bei ihrem König Kokalos. Minos folgte ihm dorthin. Doch die Töchter des Königs Kokalos ertränkten ihn im Bad mit kochendem Wasser. Und es wird berichtet, dass der König von Knossos in Sizilien beerdigt wurde, in der Stadt Minoa in einem prächtigen Grab, dessen vorderer Teil ein Tempel war. Minos war zu seinen Lebzeiten ein großer Gesetzgeber gewesen. Nun wurde er auch im Hades einer der drei Richter der Unterwelt zusammen mit seinem Bruder Rhadamanthys und mit Aiakos.
Das ist die mythische Geschichte der Familie des Minos in Knossos, wie sie die antike Überlieferung bewahrt hat. Homer und Hesiod, Herodot und Thukydides, Bakchylides, Pindar, Plutarch, Diodor von Sizilien und andere berichten Einzelheiten und Varianten desselben Mythos oder noch andere Geschichten über Minos und geben uns Auskünfte über die Geschichte der Kreter. …Was verbirgt sich also hinter den einzelnen Mythen? Hinter dem vorgriechischen Wort Labyrinthes - etymologisch verbunden mit dem Wort Labrys (Doppelaxt) - steht vielleicht der Palast von Knossos selbst, dessen Ruinen sehr deutlich zeigen, wie verwirrend der Bau angelegt war.

mehr über Labyrinthe




Sicherlich rief er ehrfürchtige Scheu bei den Zeitgenossen hervor und möglicherweise entstand so in späteren Jahren die Sage vom Labyrinth und seinem berühmten Baumeister Daidalos. Eingeritzte Zeichen von Doppeläxten sind an den Wänden des Palastes gefunden worden, und die Doppelaxt war eines der religiösen Symbole der Kreter. Man nimmt an, daß sie in minoischer Zeit für das Stieropfer dienten. Und die sagenhafte Erzählung, daß der Minotauros Jünglinge zu verspeisen pflegte, spiegelt vielleicht die Stierspiele wider, eine bei den Minoern besonders beliebte Wettkampfart, wo Jünglinge und Mädchen gefährliche Akrobatenkunststücke auf Stieren vorführen. Darstellungen der Stierspiele besitzen wir in großer Zahl in der minoischen Kunst. Nach der Meinung Professor J.W. Grahams fanden diese Wettkämpfe im Zentralhof des Palastes statt, d.h. im Zentrum des mythischen Labyrinths. Und vielleicht ist es kein Zufall, daß Europas Sohn einer Kultur den Namen gab, die die erste europäische Hochkultur darstellt.

Glaukos




Es gibt aber noch weitere Mythen über die Familie des Minos. Einer von ihnen handelt von seinem Sohn Glaukos, der als kleiner Junge durch die Magazine des Palastes streifte, in einen Pithos mit Honig fiel und darin ertrank. Dort spürte ihn mit seiner Sehergabe der Polyidos auf, aber Minos befahl ihm, er solle seinen Sohn wieder lebendig machen und schloß beide in einem Gewölbe ein. Dort sah Polyidos eine Schlange und schlug sie tot. Nach kurzer Zeit bemerkte er eine zweite Schlange, die sich ihrem toten Gefährten näherte. Sie verschwand und kehrte mit einem Kraut im Maul zurück, mit dem sie den Leib der toten Schlange einrieb, die sofort wieder lebendig wurde. Überglücklich erweckte Polyidos mit demselben Kraut den Glaukos zu neuem Leben, doch verlangte Minos nun von ihm, daß er seinen Sohn in die Geheimnisse seiner Sehergabe einweise. Polyidos gehorchte, doch bevor er mit seinem Schiff wegfuhr, verlangte er von Glaukos auf seinen Mund zu spucken. Da verlor Glaukos sofort alle Sehergaben."


Quelle:

"Knossos - Ein Führer durch den Palast des Minos" von Anna Michailidou
Ektodike Athenon S.A. Omirou-Strasse 11, Athen 10672, Griechenland